Also, dass eine Geburt, der ultimative Hammer ist und eine Frau komplett einmal upside down wirft, darüber können wir in einem anderen Beitrag mal sprechen. Heute soll es um die Zeit danach gehen.
Das Wochenbett.
Der Titel ist schon uralt und trotzdem noch genau so wahr und wichtig, wie an dem Tag, als die Zeit nach der Geburt ihren Namen fand. Normalerweise geht das Wochenbett sechs Wochen lang. Eine Zeit in der die Frau tatsächlich ohne schlechtes Gewissen mit ihrem unfassbar winzigen und unglaublich süßem Baby einfach im Bett liegen darf und schlafen, stillen, schlafen, stillen, schlafen und auch stillen. Eine herrliche Zeit, wenn die Frau von ihrem Mann so lang entlastet wird.
So weit die Theorie.
Bei einer HSP kann das durchaus auch eine extrem anstrengende Zeit sein, die einfach nur schnell überstanden sein will.
In dieser Zeit des Wochenbetts bricht eine Flut an neuen Eindrücken, nie dagewesen Gefühlen und eine Erschöpfung über einer frischgebackenen HSP - Mutter rein.
Gehen wir mal eines nach dem anderen durch:
körperliche Erschöpfung:
Die komplette Schwangerschaft war schon anstrengend, aber eine Geburt kann gut und gerne die allerletzten Kraftreserven in Null Komma nichts auf minus 40.000 setzen. Je nach Geburt und auch Geburtsverletzungen ist man danach kaum noch in der Lage Treppen zügig zu steigen oder kann sich nur noch mit Mühe und Not im Krankenhaus zum Frühstücksbuffet schleppen. Und selbst dort oft nur schwankend, sich am Tablett festklammernd sich das Frühstück aufladen. Zum Glück gibt es auf den Wochenstationen diese Babybetten zum schieben. Sie dienen gleichzeitig als Gehhilfe für die frischgebackene Mutter. Das Bild von der rosig strahlenden Mutter, die stolz ihren frischgeschlüpften Nachwuchs im Arm hält, ist schlichtweg reine Erfindung. Glücklich ja, rosig strahlend, eher nicht.
Gefühlswelt:
Zwischen überglücklich, verwirrt, ängstlich, selbstbewusst, verzweifelt, überfordert, stolz, hilflos, traurig, fröhlich...kann einfach alles drin sein. Das kennen wir HSPs ja schon von unserem Alltag. Aber so eine Schwangerschaft und Geburt wirkt hierbei wie ein Verstärker und alles wird noch intensiver wahrgenommen. Neu ist hierbei die Welt der Muttergefühle, die sich da plötzlich auftut. Kein Buch der Welt und kein Blogbeitrag kann auf dieses Ereignis ausreichend vorbereiten.
Es ist durchaus möglich, dass man vor der Geburt sich gut vorstellen konnte, das Baby jedem mal in den Arm zu legen und sich einfach herzlich mit allen Besuchern zu freuen, doch nach der Geburt fährt man die Krallen schon aus und beginnt zu fauchen, wenn es irgendjemand auch nur wagen sollte daran zu denken, das Baby auch nur anzufassen oder gar in den Arm nehmen zu wollen. Mit der Geburt des Babys kann es durchaus auch passieren, dass eine wilde, nahezu unkontrollierbare Löwenmutter geboren wird, die kein Pardon kennt.
Das wäre nicht das schlimmste. Eine HSP spürt aber in dem Moment, in dem sie in Löwenmuttermanier ihren Nachwuchs verteidigen will, dass das ganze Verhalten vielleicht ein klein wenig überzogen sein könnte, weiß aber nicht, wo genau die Grenzen sind. Beim zweiten Kind wird das alles etwas leichter, weil man weiß, was auf einen zu kommt. Aber beim ersten ist es unglaublich schwierig Grenzen zu ziehen und heraus zu finden, was für einen selbst der richtige Weg ist ohne die anderen komplett vor den Kopf zu stoßen und enterbt zu werden, gleichtzeitig aber auch sich und die eigenen Gefühle völlig auf die Seite zu schieben. Erschwerend kommt noch dazu, dass man als HSP- Mutter alles perfekt und unbedingt richtig machen möchte und genau erspüren will, was das kleine Bündel anvertrauten Lebens von einem möchte. Aber das muss man alles lernen, die Mama und das Baby müssen sich erst kennenlernen und lernen einander zu verstehen. Ein sehr empfindlicher Prozess, der nicht durch wohlmeinende Ratschläge aller Verwandten und Nachbarn gestört werden darf. Denn dieses, dein Baby ist ein neues Baby und tickt nicht genau so, wie das von Tante Emma, damals vor vierzig Jahren. Wenn du dein Baby in den Arm nehmen möchtest oder bei dir im Bett schlafen lassen magst: DANN TU ES! Neugeborene kann man nicht verwöhnen, sie brauchen jede nur erdenkliche Nähe und Liebe von der Mutter, die es nur bekommen kann. Jeder Rat, das Baby schreien zu lassen und ihm einen Rhythmus, was das stillen betrifft, aufzuzwingen, ist völlig zu ignorieren. Dazu mehr in einem anderen Beitrag.
Es ist durchaus denkbar, dass die kleinen auch nicht ständig von einem fremden Arm zum nächsten wandern wollen. Wichtig ist die Bindung zur Mutter aufzubauen und nicht zu Onkel Heinz. Es nützt nichts, wenn die Verwandtschaft glücklich ist, weil jeder mal das Baby halten durfte und das kleine nachher nur noch hysterisch schreit und nicht in den Schlaf findet.
Daher meine Tipps für nach der Geburt:
- kein Besuch im Krankenhaus. Als HSP hat man schon genug mit den oben genannten Punkten zu tun und überfordert sich maßlos, wenn man es auch noch jedem Besuch recht machen muss und vor allem, wenn man vor Onkel Gustav die ersten hilflosen Stillversuche machen soll. Alternativ kann man sich, falls es gar nicht anders geht, mit den Besuchern kurz in der Cafeteria des Krankenhauses treffen. Der Vorteil hierbei ist, die Mutter kann selbst entscheiden, wann sie kommt und vor allem wann sie wieder geht.
- die ersten Tage einfach ohne Besuch als Familie genießen und sein Baby kennenlernen, das schafft Sicherheit und stärkt das Selbstbewusstsein und dann erst den Besuch einladen. Das ist zwar nicht üblich, aber HSPs sind auch keine üblichen Menschen.
- wenn dann Besuch nach Hause kommt, einfach fragen, ob die nicht einen Kuchen oder das Mittagessen mitbringen. Dann muss man selbst nicht auch noch in der Küche stehen. Und auch hier gilt, dass Mutter und Baby keine Anwesenheitspflicht haben, sondern sich jederzeit wieder ins Schlafzimmer zurückziehen dürfen.
- SCHLAFEN! Hemmungslos einfach nur schlafen und das Baby genießen.
- sich zugestehen, dass man in den ersten Tagen nach der Geburt nur kurze Zeit die Kraft hat auf den Beinen zu sein, oft weniger als eine Stunde und man sich danach sofort wieder hinlegen muss. Das ist völlig normal, auch bei Nicht- HSPs
- sich auf keine Fall mit anderen Müttern vergleichen! Es gibt immer jemand, der es anders macht, aber anders ist nicht gleich besser. Du bist du und du machst es auf deine Art und was deine Art ist, das findest du gerade heraus.
- nicht meinen, dass man sich nach zwei Wochen schon mit der Freundin im Café treffen muss, das Bett darf auch jetzt noch dein liebster Ort sein.
- sich Zeit für alles geben. Es dauert, bis man ins Muttersein hineinwächst. Bei der einen länger, bei der anderen kürzer. Aber die Dauer ist keine Indikation für die Qualität deines Mutterseins. Viel wichtiger ist es deine eigenen Grenzen zu kennen und sie zu respektieren.
- Immer auch dann schlafen, wenn das Baby schläft. Durch die Nachtschichten und die körperliche Erschöpfung braucht man jeden Schlaf, den man bekommen kann.
- erkennen, dass man nach der Geburt nie wieder zu dem Menschen wird, der man einmal war. Figurenmäßig kann man sich vielleicht nach der Stillzeit wieder hartnäckig wieder dahin zurück turnen und hungern, aber die Gefühls- und Gedankenwelt, das Verhalten wird ab sofort sich hauptsächlich nur noch um das einem anvertraute Kind drehen. Und das ist auch gut so, weil ein Kind es auch verdient hat, dass wir alles für es geben. Aufräumen, shoppen, Manicure, Pedicure, Kaffee trinken mit der Freundin, Arbeiten gehen...das kann ich alles noch mein Leben lang machen, aber ein Kind ist nur eine bestimmte Zeit so sehr von uns abhängig, irgendwann mal ist diese innige Verbundenheit und die Abhängigkeit vorbei. Die Zeit kommt nicht wieder und kann auch nicht oder nur selten in späteren Jahren nachgeholt werden. Ein Teenager möchte nun einfach nicht mehr deine Hand zum einschlafen halten. Der hält dann vielleicht eines anderen Hand.
Respektierst du dich und deine Grenzen und schielst nicht auf die anderen Mütter, die nach zwei Wochen ihren Haushalt wieder komplett selbst schmeißen, dann kann das Wochenbett eine herrliche Zeit für dich und dein Baby werden. Genieße sie!
(c)by Sensi Bell |
Hallo Sensi Bell,
AntwortenLöschendanke für diesen Beitrag! Er gibt mir ein bisschen Mut und Kraft und Energie.
Ich bin selbst auch HSP und mein Sohn ist nun gut 2 Monate alt. Die erste Zeit war so aufregend und spannend und wunderschön. Es war einfach so viel los, dass ich gar nicht mal die Gelegenheit hatte, in mich zu gehen oder irgendwelche Reize zu verarbeiten, was ich aber auch gar nicht unbedingt vermisste habe.
Jetzt, nach gut 2 Monaten kehrt endlich ein bisschen Ruhe ein und plötzlich fühle ich mich depressiv, könnte den ganzen Tag nur weinen und finde den Weg nicht zurück zur "guten, ausgefüllten Seite". In alle möglichen Richtungen schlagen Gedanken und Gefühle Kapriolen und ich empfinde die HSP plötzlich als Last.
Mein Baby liebe ich über alles und es tut mir so leid, dass er hin und wieder ein tränenüberströmtes Gesicht schauen muss.
Ich schätze, hier kommen einfach ganz viele Aspekte zusammen und auf einmal brechen sämtliche Gefühle und Gedanken über mir ein und ich weiß überhaupt nicht mehr, wo mir der Kopf steht.
Wie erging es dir nach der ersten aufregenden Zeit? Wie hast du dich selbst in dem Chaos zurecht gefunden oder eben wieder gefunden?
Vielleicht kannst du ja mal ein bisschen was schreiben über die Zeit nach dem eigentlichen Wochenbett. Das würde mich sehr interessieren.
Toller Blog und liebe Grüße,
Nikki